Es kam nicht überraschend, dass die Grand Jury in St. Louis es gestern abgelehnt hat Darren Wilson – den Polizisten, der Michael Brown im letzten August in Ferguson ermordet hat – anzuklagen. Verschiedene Politiker und Medien hatten Monate lange daran gearbeitet die Öffentlichkeit auf diese Entscheidung vorzubereiten. Sie wissen, was aufrichtige Liberale und Community Leaders erst noch erkennen müssen: Dass es nur möglich ist, die vorherrschende soziale Ordnung aufrecht zu erhalten, wenn Polizisten ein Freibrief dazu gegeben wird, schwarze Männer nach Belieben zu töten. Ansonsten wäre es unmöglich die rassistischen und ökonomischen Ungleichheiten aufrechtzuerhalten, die für diese Gesellschaftsform so fundamental sind. Trotz der breiten Empörung, selbst unter Inkaufnahme von Plünderungen und Brandstiftungen, wird die Justiz Polizisten immer vor den Konsequenzen ihres Handelns schützen – denn ohne sie könnte sie selbst nicht existieren.
Die Entscheidung der Grand Jury in St. Louis ist kein Fehler im Rechtssystem, sondern eine Lehrstunde dafür, worum es hier in erster Linie geht. Ebenso sind die Unruhen in Ferguson nicht Zeugnis für das Scheitern des Versuchs, die Proteste in produktive Wege zu lenken, sondern ein Hinweis darauf, was alle zukünftigen sozialen Bewegungen durchstehen müssen, wenn sie eine Chance haben wollen, die Probleme, die sie hervor gebracht haben, anzugehen.
Ein vom Profitstreben angetriebenes Wirtschaftssystem schafft eine immer weiter wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen. Seit der Erfindung der Sklaverei wurde diese Situation durch die Einführung von gesellschaftlichen Privilegien für weiße Menschen sichergestellt – ein Mittel arme weiße Menschen daran zu hindern gemeinsame Interessen mit armen People of Color zu entwickeln. Aber je mehr Ungleichheiten es in einer Gesellschaft gibt – rassistische, ökonomische und andere – umso mehr Gewalt ist nötig um diese aufrecht zu erhalten.
Dies erklärt die zunehmende Militarisierung der Polizei. Dies ist nicht nur ein Weg die Profitabilität des militärisch-industriellen Sektors nach dem Ende des Kalten Kriegs sicherzustellen. Genauso, wie es notwendig war, weltweit Truppen einzusetzen, um die Rohstoffversorgung zu sichern, die unsere Wirtschaft am Laufen hält, wird es nun notwendig, Truppen in den USA einzusetzen um die ungleiche Verteilung der Ressourcen zu Hause zu erhalten. Genauso, wie die Austeritätsmaßnahmen, die der IWF vormals in Afrika, Asien und Lateinamerika angewandt hat nun in den wohlhabendsten Ländern der Welt in Erscheinung treten, werden die Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Aufstandsbekämpfung, die ursprünglich gegen Menschen in Palästina, Afghanistan und dem Irak angewandt wurden, nun auch gegen die Bevölkerungen der Länder eingesetzt, die diese Länder vormals überfallen haben.
Private Sicherheits- und Militärunternehmen, die in Peschawar eingesetzt wurden, operieren nun in Ferguson, mit Panzern, die durch Bagdad gerollt sind. Bis jetzt beschränkt sich dies auf die ärmsten, schwarzen Wohnviertel, aber was heute in Ferguson wie eine Ausnahme wirkt, wird bald landesweit zur Gewohnheit werden.
Dies erklärt auch, warum Kämpfe gegen die Polizei im letzten Jahrzehnt ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt sind. Die Polizei stellt die Frontlinie von Kapitalismus und Rassismus in jedem Kampf. Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerinnen, die durch Fracking oder privatisierte Wasserversorgung Profite schlagen, werden wir wohl nie zu Gesicht bekommen, aber wir sehen die Polizei, die unsere Proteste gegen diese niederschlagen. Wir werden wahrscheinlich nie den Bankdirektor oder Eigentümer sehen, die uns aus unseren Wohnungen vertreiben, aber wir sehen die Polizisten, die kommen, um die Räumungen zu vollstrecken. Als Schwarze Menschen werden wir niemals Gated Communities betreten um diejenigen zu treffen, die von weißen Privilegien am meisten profitieren, aber wir werden dem offensichtlich rassistischen Wachpersonal begegnen, das uns entsprechend unserer äußeren Erscheinung kategorisiert, schikaniert und festnimmt.
Die Bürgerrechtsproteste, die vor zwei Generationen ausgetragen wurden, sind zu Kämpfen gegen die Polizei geworden: Heute kann ein Schwarzer Mann Präsident werden, aber es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass er von einem Polizeibeamten getötet wird. Die Arbeiterkämpfe, die vor einer Generation ausgetragen wurden, wurden ebenfalls zu Kämpfen gegen die Polizei: Anstelle von sicherer Arbeit, steht nun eine Bevölkerung, die angesichts der Globalisierung und Automatisierung von Produktionsprozessen nur mit Hilfe von Waffengewalt in eine funktionierende Wirtschaft eingebunden werden kann. Was einst die Bosse für die Arbeiter*innen waren, ist heute die Polizei für die in prekären Verhältnissen Lebenden und die Arbeitslosen.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Polizeigewalt zum Katalysator für die meisten großen Bewegungen, Aufstände und Revolten der vergangenen Jahre wurde:
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Die Unruhen, die Griechenland im Dezember 2008 erschütterten und dabei eine Ära weltweiten Widerstands gegen Austeritätsmaßnahmen einleiteten, entzündeten sich nach der Ermordung des 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos durch einen Polizisten.
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In Oakland schafften die Ausschreitungen in Reaktion auf die Ermordung von Oscar Grant zum Jahresbeginn 2009 die Voraussetzungen dafür, dass die Bay Area zum Höhepunkt von Occupy und anderen Bewegungen wurde.
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Der Protesttag, der die ägyptische Revolution im Jahr 2011 auslöste, wurde von der Facebook-Seite We Are All Khaled Said, die an einen weiteren jungen Menschen erinnert, der von der Polizei ermordet wurde, auf den National Police Day, den 25. Januar angesetzt.
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Occupy Wall Street gewann erst dann an Zugkraft, als Filmmaterial von Polizeiangriffen im späten September 2011 in Umlauf kam.
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Die Zwangsräumung von Occupy Oakland, bei der Polizeieinheiten den Schädel von Scott Olse, einem Veteran aus dem Irak-Kriegs, brachen, brachte die Occupy Bewegung zu ihrem Höhepunkt und provozierte die Blockade des Hafens von Oakland.
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Die Entwicklung der Proteste gegen die Fahrpreiserhöhungen in Brasilien und die Bebauung des Gezi-Parks in der Türkei im Jahr 2013 – von kleinen Einzelfallprotesten zu massiven Aufständen – waren beide das Resultat von polizeilichen Repressionsmaßnahmen.
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Dasselbe passierte in Osteuropa und löste am Jahresende 2013 die Ukrainische Revolution und im Februar 2014 die Aufstände in Bosnien aus.
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Andere Städte in den USA haben eine Reihe massiver Ausschreitungen nach Ermordungen durch die Polizei erlebt, die in der Revolte in Ferguson nach dem Tod von Michael Brown gipfelte.
Es ist nicht nur so, dass die Polizei einschreitet um jede Bewegung zu unterdrücken, sobald diese eine Gefahr für die aktuell vorherrschende Verteilung der Macht darstellt, vielmehr ist mittlerweile die Repression selbst zum Auslöser der Revolten geworden.
Die Polizei kann sich nicht alleine auf die Anwendung roher Gewalt stützen. Sie kann nicht überall zur gleichen Zeit sein – und sie rekrutiert sich zudem aus derselben Bevölkerungsmasse, die sie zu unterdrücken versucht. Daher kann sie sich nicht alleine auf rein militärische Mittel verlassen. Vielmehr als diese ist sie auf eine öffentliche Legitimation und den Anschein ihrer Unbesiegbarkeit angewiesen. Dort, wo es ihr schwer fällt, auf diese beiden Elemente zu bauen, tut sie ihr bestes, das jeweils andere aufzubauschen. Wenn sie die Kontrolle über beide verliert, wie es in all den oben beschriebenen Fällen passiert ist, öffnet sich ein Handlungsfenster für Alternativen – ein Tahrir oder Taksim Square, ein Occupy-Camp oder ein besetztes Gebäude, das besetzte QT in Ferguson im letzten August – in welchem eine Welt ohne all die Grenzen und die Machtungleichverteilung vorstellbar wird, die die Polizei durchsetzt. Dieses Fenster bleibt so lange geöffnet, bis es der Polizei gelingt die Fassade ihrer Unbesiegbarkeit wieder herzustellen und entweder die Kräfte, die sie bis dahin erfolgreich zurückgehalten haben ihrer jeweiligen Legitimation entzieht, à la Chris Hedges, oder es schafft ihre eigene Machtausübung selbst wieder zu legitimiert.
Diese Neulegitimierung kann viele Formen annehmen. In den Occupy-Protesten gelang dies auf rhetorische Weise dadurch, dass die Polizei als Teil der 99% ausgewiesen wurde (was sehr leicht auch mit dem Ku Klux Klan gemacht werden kann). In Ägypten haben die Protestierenden mehrere Regierungen gleich hintereinander gestützt nur um mit anzusehen, wie die Polizei und das Militär im Anschluss immer wieder dieselbe Funktion einnahmen und sich dabei jeweils durch den Regimewechsel legitimierten. Am Ende stellte sich heraus, dass das Problem in der Funktion und Eigenschaft der Polizei selbst begründet liegt und nicht in einer bestimmten, ihr übergeordneten Verwaltung, die sich leicht austauschen lässt. Während der Revolution in der Ukraine übernahmen gerade die Selbstschutzeinheiten der Protestierenden, die die Polizei erfolgreich niedergeschlagen haben, ihre Rolle und führten sie in gleicher Weise aus. Rufe nach “community self-policing” mögen harmlos klingen, aber wir sollten uns an die weißen Bürgerwehren zurück erinnern, die New Orleans nach dem Hurrikan Katrina beherrschten. Policing, in praktisch jeder vorstellbaren Form, erhält Rassismus und Ungleichheit aufrecht. Es wäre wohl besser darüber nachzudenken, wie wir die Faktoren beseitigen können, die zu unserer angeblichen Abhängigkeit von der Polizei führen.
Im Fall der Proteste gegen die Ermordung von Michael Brown gelang die Neulegitimierung der Polizei durch Forderungen nach polizeilicher Verantwortung, nach Bewertungsverfahren durch die Bürger*innen, durch das Mitführen von Kameras durch die Polizei – so als könnte mehr Überwachung eine gute Sache für jene sein, die innerhalb der rechtlichen Ordnung selbst nicht überlebensfähig sind. Es ist naiv Forderungen an vermeintliche Autoritäten zu stellen, die die Polizei als essentiell und uns als entbehrlich ansehen. Dies kann nur dazu führen, dass ihre Legitimität und unsere Passivität wieder hergestellt wird und zeitgleich eine Gruppe von Grenzgänger*innen entsteht, die persönliche Macht daraus schöpfen, dass sie ihre vormalige Opposition zum herrschenden System niederlegen. Wir sollten den Demonstrant*innen in Ferguson dankbar sein, die es in den letzten Nächten abgelehnt haben passiv zu sein, die ihre Repräsentation und einen falschen Dialog unter der Inkaufnahme hoher persönlicher Opfer ablehnten und sich weigerten ihre Wut herunterzuschlucken.
Der einzige Ausweg aus diesem Unheil besteht darin unsere Fähigkeiten zur eigenen Machtausübung horizontal und autonom auszubauen, die Polizei ihrer Legitimation zu entziehen und den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit zu brechen. Hierhin lag die gemeinsame Gefahr, die von praktisch allen wesentlichen Bewegungen der letzten Jahre für die herrschende Ordnung ausging. Wenn wir lernen, wie wir dies erreichen können, können wir unsere eigene Agenda durchsetzen, die Autoritäten davor zurückschrecken lassen jungen Männer, wie Michael Brown, ihr Leben zu nehmen und einen Raum schaffen, in dem sie nicht länger fähig sind, die strukturellen Ungleichheiten ihrer rassistischen Gesellschaft durchzusetzen. Bis wir dies erreichen, können wir sicher sein, dass die Polizei weiter töten wird – und keine Untersuchungskommission oder Grand Jury sie daran hindern wird.
Jede Aktion, die die Illusion von Ordnung und Resignation zerstreut, ist ein Zauberspruch für mehr davon.
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