Vom Organisieren eines Aufstands

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Ein Interview über die Aufstände 2008 in Griechenland

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Demütig präsentieren wir einen der ersten Insider Berichte von Menschen, die Teil der Umwälzungen waren, die Griechenland erschüttert haben, nachdem am 6. Dezember der 15jährige Alexandros Grigoropoulos im anarchistischen Stadtteil Exarchia von der Polizei ermordet wurde.

Die Antworten, die wir von unseren griechischen Genoss*innen bekommen haben sind nur ein Anfang. Wir hoffen bald noch mehr Perspektiven von anderen Teilen des griechischen Aufstands zu bekommen, damit wir einen umfassenden Hintergrund des Kontextes und der Dynamik der Revolte darstellen können.

Wie wurden die Aktionen innerhalb der Städte organisiert? Wie sah es mit der Organisation zwischen den Städten aus?

Es gibt hunderte von kleinen, komplett geschlossenen Bezugsgruppen – Gruppen, die auf langen Freundschaften und 100% Vertrauen basieren – und einige größere Gruppen wie die Leute aus den 3 großen Squats in Athen und 3 weiteren in Thessaloniki. Es gibt mehr als 50 Soziale Zentren in Griechenland und anarchistische (Frei)Räume in allen Universitäten des Landes. Außerdem hat die antiautoritäre Bewegung Gruppen in allen größeren Städten und es gibt ein Netzwerk von Bezugsgruppen des Schwarzen Blocks, die in allen griechischen Städten aktiv sind. Dieses Netzwerk basiert vor allem auf persönlichen Beziehungen und Verständigung über Telefon und e-mail. Für all diese Gruppen ist Indymedia ein strategischer Punkt, um wertvolle Informationen – wo es Stress gibt, wo die Bullen sind, wo der Geheimdienst Leute festnimmt, was wo zu welcher Zeit passiert – zu sammeln und zu teilen sehr wichtig. Es ist auch auf der politischen Ebene nützlich, um Ankündigungen und Demo-Aufrufe zu veröffentlichen.

Natürlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass in der Praxis die häufigste Form der Koordinierung die von Freund*in zu Freund*in über Handys ablief; das war auch die Vorgehensweise, in der die jungen Schüler*innen meistens ihre Initiativen, Demos und direkten Aktionen koordiniert haben.

Was für Strukturen der Organisierung gab es?

  • Verschiedenste Zusammenschlüsse von Freund*innen haben auf der Straße spontane Entscheidungen getroffen, haben Aktionen geplant und sie selbst in einer chaotischen, unkontrollierbaren Art und Weise durchgeführt: Tausende von Aktionen passierten gleichzeitig überall im ganzen Land…

  • Jeden Nachmittag gab es eine Vollversammlung in besetzen Schulen, besetzten öffentlichen Gebäuden und besetzten Unis…

  • Indymedia wurde für Ankündigungen und strategische Koordination von Aktionen genutzt…

  • Die verschiedenen Kommunistischen Parteien haben ihre eigenen Studentenverbände organisiert…

  • …und, ein besonders einflussreicher Zusammenschluss wurde von den Freund*innen von Alexis organisiert, um die Schüler*innen Demos und Aktionen und die Besetzung von Schulen zu organisieren und um generelle Ankündigungen der Schüler*innenbewegung zu veröffentlichen.

Gab es bereits existierende Strukturen auf die zurückgegriffen wurde?

Für die jungen Schüler*innen, die zum ersten Mal auf der Straße waren, und auch für die Migrant*innen, die mit dabei waren, war das Telefon mehr als genug; es gab der Situation ein völlig chaotisches und unvorhersehbares Element. Auf der anderen Seite gab es für die Anarchist*innen und die Anti-Autoritären die Vollversammlungen, ein Werkzeug, das in den letzten 30 Jahren in jeder Art der Bewegung genutzt wurde. Alle Bezugsgruppen, Squats, Soziale Zentren, Uni-Besetzungen und andere Organisationen haben zudem ihre eigenen VVs. Andere Leute, die mit dabei waren, waren linke Organisationen und linke und anarchistische Uni-Gruppen. Während dem Kampf entstanden viele neue Blogs und neue Netzwerke von Schüler*innen.

Was für Leute haben bei den Aktionen mitgemacht?

Die meisten waren Anarchist*innen, die Hälfte davon ältere, manche von ihnen mit einem hohen Risiko, weil sie schon mal verurteilt wurden und in den Knast müssten, würden sie festgenommen. An ihrer Seite waren tausende von Schüler*innen zwischen 16 und 18. Außerdem waren Migrant*innen dabei, tausende von Student*innen, viele Roma Kinder die sich für die soziale Repression und den Rassismus rächten, und alte Revolutionäre mit Erfahrungen aus anderen Sozialen Kämpfen.

Welche Aktionsformen gab es?

  • Zertrümmern, Plündern und Brandstiftung waren die häufigsten Aktionsformen, die die jungen Leute benutzten. Oft haben sie die teuren Shopping-Straßen angegriffen, die schicken Luxus-Läden aufgemacht, alles rausgeholt und es dann angezündet, um dem Tränengas entgegen zu wirken. Viele umgedrehte Autos dienten als Barrikaden, die die Bullen auf Entfernung gehalten haben und so befreite Gebiete ermöglicht haben. Die Bullen haben mehr als 4600 Tränengasgranaten verschossen – fast 4 Tonnen – aber die Leute haben unzählige Feuer angezündet, genug um Gebiete aufrecht zu erhalten wo du, trotz der chemischen Kriegsführung des Staates gegen die Bevölkerung, atmen konntest.

Als tausende von Leuten auf der Straße realisierten, dass der schwarze Rauch von Feuern den weißen Rauch des Tränengases aufheben kann, fingen sie an dies als Taktik zu nutzen – sie zündeten alles an, was zur Hand war, um sich vor dem Tränengas zu schützen. Zu weiteren Techniken zählen das Zertrümmern des Straßenpflasters, um so tausende von Steinen zu haben, die von den Leuten als Wurfgeschosse genutzt wurden; und natürlich die Initiative von Einzelnen Molotovcocktails herzustellen und zu werfen. Letzteres wurde vor allem angewendet um den Riot Cops Angst einzujagen und ihnen Respekt vor den Demonstrant*innen beizubringen, aber auch, um den Ort und die Zeit von Angriff und Rückzug kontrollieren zu können.

  • Es gab Angriffe mit Stöcken, Steinen und Mollies gegen unzählige Banken, Bullenstationen und Bullenautos im ganzen Land. In kleineren Städten waren die Banken und die Bullen die hauptsächlichen oder einzigen Ziele, weil in diesen kleinen Gemeinschaften die persönlichen Bekanntschaften die Menschen davon abgehalten haben, Geschäfte zu zerstören, mit Ausnahme von einigen Multinationalen Konzernen.

  • Es gab hunderte von symbolischen Besetzungen von verschiedenen öffentlichen Gebäuden. Bürgermeisterämter, Bürgerämter, Theater, Radiostationen, Fernsehstationen und andere Gebäude wurden von Gruppen von 50-70 Leuten besetzt. Außerdem gab es viele symbolische Sabotage- und Blockadeaktionen, wie das blockieren von Straßen, Autobahnen, Büros, Metro Stationen, Bürgerämtern und so weiter, meistens mit dem Verteilen von tausenden von Flugblättern verbunden.

  • Jeden Tag gab es stillen Protest, Kunst Happenings und gewaltfreie Aktionen vor dem Parlament und in allen Städten. Die meisten wurden brutal von der Polizei angegriffen, Tränengas wurde eingesetzt und Leute festgenommen.

  • Linke organisierten Konzerte auf öffentlich Plätzen, an denen sich Underground Bands aber auch Pop Stars mit einem politischen Bewusstsein beteiligt haben.

  • Die Kommunistische Partei hat kontrollierte Student*innen Demos organisiert. Die meisten davon hatten aber ein geringere Beteiligung als die chaotischen spontanen Schüler*innen bzw. Student*innen Demos.

Wie viele der beteiligten Leute waren vorher schon an ähnlichen Aktionen beteiligt? Für wie viele, denkt ihr, war es das erste Mal?

Einige tausend Leute waren erfahrene anarchistische Aufständische, anti-autoritäre und libertäre Autonome; die Hälfte davon waren ältere Anarchist*innen, die nur für wichtige Kämpfe auf die Straße gehen, weil die meisten von ihnen schon vorbestraft ist. Es gab auch tausende von jungen Menschen, die in den letzten 3 Jahren, durch die Sozialen Kämpfe über die Sozialversicherung und gegen die Privatisierung von Bildung und auch über die Demos, die nach den Waldbränden 2007 (die 25% der natürlichen Freiflächen in Griechenland zerstört haben) stattfanden, radikalisiert wurden. Wir schätzen, dass es für ungefähr 30% der Leute das erste Mal war, dass sie an einem Riot beteiligt waren.

Welche Taktiken wurden schon vorher in Griechenland genutzt? Haben sie sich während dieser Riots weiter verbreitet? Wenn ja, wie passierte das?

Die meisten Taktiken die in diesem Kampf genutzt wurden werden seit langem in Griechenland genutzt. Das wichtigste neue Merkmal an diesem Kampf war, dass sofort im ganzen Land Aktionen stattgefunden haben. Die Ermordung eines Jungen im für anarchistische Aktivität wichtigsten Stadtteil hat eine sofortige Reaktion ausgelöst; innerhalb von 5 Minuten nach seinem Tod waren anarchistische Zellen im ganzen Land aktiviert. In einigen Fällen wurden die Bullen viel später als die Anarchist*innen informiert, warum sie von den Leuten angegriffen werden. Für die griechische Gesellschaft war es überraschend, dass die Mehrheit der jungen Menschen die Taktik der „anarchistischen Gewalt, zertrümmern und verbrennen“ adaptiert hat, aber das war das Ergebnis eines generellen Einflusses, den anarchistische Aktionen und Ideen in den letzten 4 Jahren auf die griechische Gesellschaft hatten.

Gab es Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen die bei den Aktionen dabei waren?

Die Kommunistische Partei hat sich selbst von den Anarchist*innen und Linken separiert und eigene Demos organisiert. Außerdem zeigen die Ankündigungen, die die Kommunistische Partei veröffentlicht hat, ihr auftreten in den bürgerlichen Medien, ihre Reden im Parlament und die negative Propaganda, die sie über alle linken/linksradikalen Organisationen verbreitet haben, dass sie die wirkliche Feindin jeglicher Bemühungen um soziale Veränderungen ist.

Was denkt die „Öffentlichkeit“ über die Aktionen?

Was in Zeiten einer Tele-Demokratie als „Öffentlichkeit“ bezeichnet wird bedarf einiger Diskussionen.

Grundsätzlich ist es aber so, dass die „Öffentlichkeit“ Angst hat, wenn der Fernseher sagt, dass wir „die Läden der armen Leute“ anzünden. Aber die Menschen wissen ganz genau, was es für Läden in den Luxus Shopping Meilen gibt, in denen die Riots stattgefunden haben. Sie haben Angst, wenn der Fernseher sagt, dass wütende Migrant*innen auf die Straße gegangen sind und geplündert haben, aber sie wissen auch, dass die Migrant*innen arm und verzweifelt sind, und sie wissen auch dass es eine Minderheit von ihnen war, die auf die Straße gegangen ist. Es gab viele Künstler*innen, Theoretiker*innen, Soziolog*innen und so, die Erklärungen für die Revolte angeboten haben und viele davon waren unserer Sache dienlich. Einige waren bestimmt im Geist der Zeit eingeschlossen, während andere die Situation genutzt haben um ihre wahren Ideen auszudrücken. Die „Öffentlichkeit“ ist wütend, dass die Polizei einen 15-jährigen ermordet hat und sie hassen die Bullen mehr als davor – es ist aber so, dass eigentlich niemand die Bullen je mochte. Die Mehrheit der „normalen“ Leute trauen weder der jetzigen rechten Regierung noch der vergangenen sozialistischen und sie mögen die Polizei, teure Läden und Banken nicht. Jetzt taucht eine neue öffentliche Meinung auf, die all die sozialen und ethischen Gründe für eine Revolte bietet. Wenn es bis jetzt schwierig war Griechenland zu regieren, wird es jetzt noch viel schwieriger werden.

Wie wichtig ist das Vermächtnis der Diktatur in Griechenland in diesem Kontext? Beeinflusst es die öffentliche Meinung und Aktionen in diesem Fall?

1973 waren die jungen Menschen die einzigen, die das Risiko auf sich genommen haben, gegen die damals seit 7 Jahren existierende Diktatur zu rebellieren. Auch wenn das nicht der einzige Grund für das Ende der Diktatur war, in der kollektiven Erinnerung bleiben die Student*innen diejenigen, die Griechenland vor der Diktatur und einer US-Vorherrschaft gerettet haben. Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass sich die jungen Leute großen Risiken aussetzen, um das beste für alle zu erreichen. Das führt dazu, dass die Aktionen mit großer Hoffnung und Toleranz beobachtet werden. Klar ist, dass das Geschichte ist. Auch wenn es den Hintergrund dieser Kämpfe stellt, wird jetzt nicht direkt darauf Bezug genommen.

Ein weiterer Einfluss sind die Student*innen-Revolten von 1991 und 1995 gegen die Privatisierung der Bildung. Sie verhinderten erfolgreich die Pläne der Regierung und haben die freie Bildung bis heute erhalten. Zugegebener Maßen war die Revolte 2007 bis jetzt der Höhepunkt der anarchistischen Bewegung in Griechenland, weil sie im ganzen Land stattfand und es einen großen Einfluss auf die Aktionen und Slogans und Ideen weiter Teile der Bevölkerung gab; aber die früheren Student*innen Kämpfe, vor allem der in Athen 1991, waren sichtbarer und breiter.

Denkt ihr, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Situation so entscheidend ist für das was gerade passiert wie die Massenmedien sagen?

Auch die jungen Leute aus den reichen Teilen Athens haben die Bullenstationen in ihren Bezirken angegriffen, weshalb sogar die Klassenkampf Marxisten ernsthafte Schwierigkeiten hatten, zu erklären was passiert: die Trennung in Arm und Reich scheint nicht so wichtig zu sein wie die lange bestehende Solidarität und die Beteiligung am Kampf für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.

Auf der anderen Seite können Griech*innen zwischen 25 und 35 aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse keine Familien gründen und Kinder kriegen. Griechenland ist das unterbevölkerteste Land Europas. Aber wir wollen hier nicht behaupten, dass das der Grund für die Revolte ist. Die jungen Menschen sind wütend und sie hassen die Bullen, den kapitalistischen Zynismus und die Regierung aus einem natürlichen Instinkt heraus, der keine Erklärungen oder ein politisches Programm braucht. Die lokalen Medien hier haben versucht, nicht über die sozialen Bedingungen zu berichten, anders als das in den englischen, französischen oder U.S. Medien war. Hier haben die Medien versucht, Lügen über die chaotischen Vermummten, die keine Ideen und keine soziale Identität haben, zu verbreiten. Weil der moralische Einfluss der Anarchist*innen grade so stark ist könnte die Gesellschaft explodieren, wenn sie im Fernsehen ernsthaft über unsere Ideen sprechen. Mit der Ausnahme einiger weniger Fernsehsender und Zeitungen hat der Großteil der Massenmedien versucht, die wirtschaftlichen Gründen von der chaotischen Revolte zu trennen.

Sogar die Linken der 68er Generation sagen, wenn sie mit den Medien sprechen, dass die Zerstörung und die Riots kein politischer Ausdruck der Bedürfnisse und der Hoffnungen der Menschen sind; dass die Anarchist*innen und die jungen Menschen nicht die Fähigkeit haben, eine politisches Programm zu formulieren, und dass die Menschen eine andere Form der politischen Repräsentation brauchen. Natürlich hat all das kaum Einfluss auf die jungen Menschen Sie werden an den sozialen Kämpfen der Zukunft teilhaben, weil es nach diesem Kampf Spannungen und eine Kluft zwischen den jungen Menschen und jeder Form von politischer Führung oder Autorität gibt.

Welche anderen Motivationen außer der Wut auf Polizei und Wirtschaft treiben die Leute eurer Ansicht nach dazu mitzumachen?

Das persönliche und kollektive Bedürfnis nach Abenteuer; das Bedürfnis teilzunehmen, wenn Geschichte gemacht wird; die chaotische Negation jeder Art von Politik, von politischen Parteien und „seriösen“ politischen Ideen; die kulturelle Kluft, die deutlich wird im Hass auf jede Art von Fernsehstar, jede Soziolog*in oder Expert*in, die beansprucht, dich als ein soziales Phänomen zu analysieren; das Bedürfnis zu existieren und so gehört zu werden, wie du bist; die Begeisterung gegen die Behörden zu kämpfen und sich über die Riot Cops lustig zu machen; die Kraft in deinem Herzen und das Feuer in deiner Hand, die unglaubliche Erfahrung Mollies und Steine auf die Bullen zu werfen: vor dem Parlament, in den teuren Einkaufsstraßen oder in deiner kleinen stillen Stadt, in deinem Dorf, in deiner Nachbarschaft.

Unsere Motivationen kommen aus dem kollektiven Gefühl, mit deinen besten Freund*innen eine Aktion zu planen, sie wahr werden zu lassen, und später Leute über diese Aktion reden zu hören: als eine unglaubliche Geschichte, die sie von anderen gehört haben; die Begeisterung von einer Aktion, die du mit deinen Freund*innen gemacht hast in einer Zeitung oder einer Fernsehsendung auf der anderen Seite des Planeten zu hören; das Gefühl der Verantwortung die du hast, Geschichten, Aktionen und Pläne zu schaffen, die zu globalen Beispielen für künftige Kämpfe werden. Es ist auch das große feierliche Vergnügen die Läden einzuschmeißen, die Produkte zu nehmen und anschließend abzufackeln, all die falschen Versprechungen und Träume des Kapitalismus verkohlt auf der Straße liegen zu sehen; der Hass auf alle Autoritäten, das Bedürfnis teilzunehmen an der kollektiven Zeremonie der Rache für eine Person, die du hättest sein können, die persönliche Vendetta, das die Polizei für den Tod von Alexis überall im Land zahlen muss; das Bedürfnis eine kraftvolle Botschaft an die Regierung zu senden, dass, sollte die Polizeigewalt zunehmen, wir die Kraft haben zurück zuschlagen, und dass die Gesellschaft explodieren wird – das Bedürfnis eine direkte Botschaft an die Gesellschaft zu schicken, dass alle aufwachen müssen, und eine Botschaft an die Behörden, dass sie uns ernst nehmen müssen, denn wir sind überall und wir kommen alles zu ändern.

Sind die politischen Parteien erfolgreich darin, die Energie des Aufstands zu kanalisieren?

In „realen“ Zahlen haben die Sozialisten ihren Vorsprung vor der rechten Regierung ausgebaut und führen in Umfragen mit 8%, die Kommunist*innen vom „Europäischen Sozialforum“ haben 1% verloren, obwohl sie der Revolte geholfen haben, sie sind aber mit 12% weiterhin an dritter Stelle; die Kommunistische Partei hat 8%, die nationalistischen Neo-Faschisten 4,5%, und die Grüne Partei liegt beständig bei 3,5%.

Es ist ebenfalls interessant, dass der Anführer der Sozialistischen Partei jetzt als derjenige mit der „größten Fähigkeit das Land zu regieren“ erscheint, nachdem er jahrelang weit weniger beliebt war als der rechte Premierminister. Die Riots hatten einen großen Effekt auf die politische Landschaft: die politischen Parteien schienen nicht in der Lage zu sein, die massive Welle der Gewalt und die Beteiligung aus allen Teilen der Gesellschaft zu verstehen, zu erklären, darauf zu reagieren. Ihre Ankündigungen waren irrelevant für das, was wirklich geschah. Ihre Popularität sank dramatisch beim jüngeren Teil der Bevölkerung, die sich in der Logik und der Politik der politischen Parteien nicht wiedererkennen und sich von ihnen nicht repräsentiert fühlen.

Was war die Rolle der Anarchist*innen beim Anfangen und Fortsetzen der Aktionen? Wie klar wird ihre Beteiligung im Rest der Gesellschaft wahrgenommen?

In den letzten Jahren haben Anarchist*innen ein Netzwerk von Gemeinschaften, Gruppen, Organisationen, Squats und Sozialen Zentren in fast allen größeren Städten Griechenlands aufgebaut. Viele mögen sich untereinander nicht, es gibt viele bedeutende Unterschiede zwischen den Gruppen und Individuen. Der Bewegung hilft das jetzt, denn so kann sie eine große Vielfalt von Menschen erreichen. Viele verschiedene Arten von Leuten finden ihre Genoss*innen in verschiedenen anarchistischen Bewegungen und alle zusammen treiben sich gegenseitig dazu an – auf positive, wenngleich antagonistische Weise – mit der Gesellschaft zu kommunizieren. Zu dieser Kommunikation gehört es, Nachbarschaftsversammlungen einzuberufen, sich an sozialen Kämpfen zu beteiligen und Aktionen zu planen, die für die Gesellschaft als solche Bedeutung haben. Nach 30 Jahren anti-sozialem Anarchismus hat die anarchistische Bewegung in Griechenland, mit all ihren Problemen, Beschränkungen und internen Konflikten, heute die Fähigkeit außerhalb des anarchistischen Mikrokosmos zu blicken und Aktionen zu machen, die auf deutlich sichtbare Art für die Gesellschaft im großen Ganzen wirken. Dies offensichtlich zu machen wird mit Sicherheit viele Anstrengungen kosten, aber mit jedem Tag kann es weniger geleugnet werden.

Die Rolle der Anarchist*innen zu Beginn und beim Aufrechterhalten der Aktionen… besonders zu Beginn – Samstag und Sonntag, den 6. und 7. Dezember – und auch bei der Fortsetzung der Aktionen nach Mittwoch, dem 10. Dezember, stellten Anarchist_innen bei weitem die Mehrheit derjenigen, die die Aktionen ausführten. An den mittleren Tagen, speziell am Montag, dem Armagedon der Zerstörung, spielten Student*innen und Immigrant*innen eine sehr wichtige Rolle. Aber der großen Mehrheit der Student*innen fiel es nach ein, zwei, drei Tagen Randale leicht sich zufrieden zu fühlen und nach Hause zurückzukehren oder Demonstrationen mit friedlicherem Charakter zu besuchen. Entsprechend waren Immigrant*innen sehr starken Reaktionen von Einheimischen ausgesetzt und hatten Angst, wieder auf die Strasse zurückzukehren.

Die 20.000 Anarchist*innen, die es in Griechenland gibt haben also angefangen und weitergemacht, als alle anderen zur Normalität zurückkehrten. Und wir müssen feststellen, dass es die Angst vor der Rückkehr zur Normalität war, die uns geholfen hat, den Kampf weitere zehn Tage lang aufrecht zu erhalten, und uns in große Gefahr zu bringen, als sich die Racheakte für das Attentat auf unseren Genossen in Vorbereitungen auf einen Generalstreik verwandelten, in unserer Fantasie. Nun weiß die europäische Gesellschaft ein für allemal, wie ein sozialer Aufstand aussieht, und dass es nicht schwierig ist die Welt in einigen Monaten zu ändern. Aber dazu ist es nötig, dass alle Leute teilnehmen und ihre Rolle spielen. Die jungen Leute Griechenlands haben eine Einladung an alle Gesellschaften überall in Europa geschickt. Wir warten jetzt auf die Antworten.

Wie sichtbar sind Anarchist*innen allgemein in Griechenland? Wie „ernst“ wird Anarchismus von der Mehrheit der griechischen Leute genommen?

In gewissen Sinne kann man sagen, dass sich die Anarchist*innen erst seit drei oder vier Jahren selbst „ernst“ nehmen, und entsprechend werden wir in der breiteren Gesellschaft wahrgenommen. Erst in den letzten Jahren ist es uns gelungen, die Beschränkungen der Anti-Polizei Strategie zu überwinden, die unsere Anstrengungen 25 Jahre lang charakterisiert hatte. Gemäß dieser Strategie greifen wir die Polizei an, sie nehmen Leute fest und wir machen Solidaritäts-Aktionen, immer und immer wieder. Wir haben 25 Jahre gebraucht, um dieser Routine zu entfliehen. Na klar, die Angriffe und Kämpfe gegen die Polizei gehen weiter und die Gefangenen-Solidaritäts-Bewegung ist so stark wie nie zuvor, aber das anti-soziale Element innerhalb der anarchistischen Bewegung steht unter bewusster Selbstkontrolle. Wir können nun über Vorteile für die ganze Gesellschaft reden, uns kümmern und handeln, indem wir Aktionen und Pläne machen, die eine deutliche Sprache sprechen und zumindest von einem Teil der Gesellschaft verstanden werden können.

Viele Aktionen werden breit akzeptiert. Angriffe auf Supermärkte und die anschließende freie Verteilung der gestohlenen Güter sind sehr populär geworden. Angriffe auf Banken werden ebenfalls akzeptiert, besonders jetzt in der ökonomischen Krise, und Angriffe auf Polizeistationen haben Schüler*innen überall im Land aufgegriffen und angewendet. Auf die ein oder andere Weise waren wir in den vergangenen 15 Tagen Thema Nummer eins in den Nachrichten. Allgemein gesagt, durch unsere Beteiligung in Kämpfen der Student*innen und Arbeiter*innen, aber auch in ökologischen Kämpfen, zieht jede Woche eine anarchistische Aktion die Aufmerksamkeit auf sich und macht die anarchistische Bewegung damit sichtbar.

Das heißt nicht, dass „Anarchismus“ von der Mehrheit der griechischen Leute ernst genommen wird, denn die meisten Leute glauben noch immer den Lügen im Fernsehen, die uns als „Vermummte“ und Kriminelle darstellen, und außerdem hat die Mehrheit nicht die geringste Idee davon, wie eine anarchistische Gesellschaft jemals funktionieren könnte – das trifft auch für die meisten Anarchist*innen zu, die sich dieser Frage ebenfalls verweigern! Aber unsere Aktionen, unsere Kritiken und Ideen haben jetzt einen starken Einfluss auf linke und fortschrittliche Leute. Es ist nicht mehr möglich zu sagen, dass wir nicht existieren und jetzt radikalisiert unsere Existenz die Mehrheit der jüngeren Generation.

Welche Rolle hatten Subkulturen wie Punks, Squatters, usw. dabei gespielt den Aufstand möglich zu machen?

Nach 1993 gab es eine starke Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung – begleitet von vielen ernstzunehmenden internen Kämpfen – die den Einfluss „subkultureller“ Styles beseitigt hat. Das bedeutet, dass es keine Punk-, Rock-, Metal- oder was-auch-immer-anarchistische Identität in der griechischen anarchistischen Bewegung gibt – du kannst sein was du willst, du kannst die Musik hören die du willst, du kannst jeden Stil und Mode haben, die du willst, aber das ist keine politische Identität.

Bei den Straßenschlachten haben diesen Monat viele „Emos“ teilgenommen, zusammen mit Hippy Freaks und Ravern, vielen Punks, Heavy Metal Fans, genauso wie normale trendy Kids und Student*innen, die griechische Musik oder was auch immer mögen. Es ist das soziale und politische Bewusstsein, soziale Kritik und kollektives Verständnis, das dich dazu bringt in der anarchistischen Bewegung mitzumachen, nicht Fashion. Sicherlich hat das Void Network und ähnliche Kollektive eine Rolle dabei gespielt, eine kulturelle Einführung in radikale politische Räume zu bieten. Solche Gruppen organisieren jedes Jahr viele kulturelle/politische Events, Festivals und Parties und sie haben die Kraft den kulturellen Untergrund für zig-tausende attraktiv zu machen. Aber noch nicht mal das Void Network schafft subkulturelle Identitäten, separiert die verschiedenen Subkulturen nicht, sondern versucht Events zu organisieren, welche die meisten Untergrund-Kulturen anspricht. Dennoch ist es wahr, dass die Mehrheit der Leute in der Szene zu den meisten Veranstaltungen der D.I.Y. Untergrund-Kultur geht und teilnimmt, jeden Monat werden viele solcher Events in befreiten Räumen organisiert.

Was hat die anarchistische Bewegung in Griechenland stark gemacht?

Die Trennung von der subkulturellen Identitätspolitik hat vielen Leuten klar gemacht, dass es mehr bedeutet sich Anarchist*in zu nennen als einfach ein T-Shirt mit Antichrist zu tragen, sich auf Punk-Konzerten zu besaufen und hypnotische Pillen zu schlucken, mehr ernsthafte Teilnahme, mehr Planung, mehr Kreativität und Taten. Es gibt jetzt ein Verständnis davon, dass du zu Demos kommen musst, auf die Straße kommen musst, wenn du dich Anarchist*in nennst, mit schwarzen oder schwarz-roten Fahnen gemeinsam Parolen rufst und die anarchistische Präsenz manifestiert. Dass du jede Woche an ein, zwei, drei verschiedenen Versammlungen teilnehmen solltest, um mit anderen Leuten ein, zwei, drei verschiedene Aktionen, Pläne, oder Kämpfe zu besprechen, wenn du dich Anarchist*in nennst. Du musst mit den Leuten befreundet sein und ihnen 100% trauen, um irgendwas gefährliches zu planen, du musst dir über alles was in der Welt vorgeht im Klaren sein, informiert sein, um entscheiden zu können, was der entsprechende Verlauf einer Aktion ist, du musst verrückt und begeistert sein, um zu spüren, dass du unglaubliche Dinge tun kannst – du musst bereit sein dein Leben, deine Zeit, deine Jahre in einem Kampf zu geben, der nie enden wird. Es ist gesund, keine Erwartungen zu haben, denn dann wirst du nicht enttäuscht. Du erwartest nicht zu gewinnen. Du bist daran gewöhnt aufzutauchen, zu kämpfen und dann wieder abzutauchen; du weißt wie du als Person unsichtbar wirst und sichtbar als kollektive Kraft; du weißt, dass du nicht das Zentrum des Universums bist, aber zu jeder Zeit kannst du zum Zentrum deiner Gesellschaft werden.

An welchen Punkten denkt ihr, dass die anarchistische Bewegung in Griechenland besser oder stärker werden könnte?

Wir müssen intelligentere Wege finden, den Leuten unsere Ideen zu erklären. Wir brauchen Techniken der politischen Kommunikation mit allen Leuten in der Gesellschaft, bessere und stärkere Wege für die „politische Übersetzung“ unserer Aktionen, um den ganzen Kampf in seinen sozialen Kontext zu stellen. In einer Tele-Demokratie, in der Politiker*innen nichts anderes sind als Fernseh-Superstars, ist unsere Verweigerung mit oder durch die Massenmedien zu kommunizieren eine gesunde Sache, aber wir müssen neue Wege finden, die „Wirklichkeit der Zustimmung“ der Massenmedien zu überwinden, die gegen uns gerichtete Medienpropaganda, und Wege finden der Gesellschaft die Gründe für unsere Aktionen zu erklären. So lange irgendwelche TV-Shows „existieren“ und alles, was nicht im TV auftaucht „nicht existiert“, werden wir mit unseren verrückten Ideen da sein und mit gefährlichen Aktionen und Straßenschlachten die Normalität des TV-Programms aufbrechen, werden wir die negative Werbung unserer Aktionen nutzen, um die Fantasien und Träume der gewöhnlichen Leute zu entführen. Aber wie können wir unsere positiven Ideen allen erklären? Wie können wir dazu beitragen, dass die Leute aufhören, den Medien zu vertrauen? Wie können wir mit Millionen und Millionen Menschen in Kontakt kommen?

Es wird Millionen und Millionen Plakate und kostenlose Pamphlete brauchen, die in den Straßen von Hand zu Hand wandern; Millionen von Einladungen zu Demonstrationen und immer wieder die Beteiligung an Sozialen Kämpfen; es wird mehr kostenlose öffentliche Dienste brauchen in Gebieten, in denen sie der Staat nicht zur Verfügung stellen will oder kann – freie anarchistische Ärzte und Ärztinnen, Lehrer und Lehrerinnen, freies Essen, freie Unterkunft, Information, Untergrund-Kultur, usw. – das kann den Leuten unsere Ideen näher bringen. Es wird auch mehr Squats und Soziale Zentren brauchen. Wenn ihr ein Haus besetzen könnt, ist das besser, aber wenn es nicht möglich ist, in eurer Stadt was zu besetzen, dann mietet ein Haus mit euren Freund*innen, erledigt die Bürokratie, macht ein Kollektiv, startet eine Versammlung und hängt die schwarze oder schwarz-rote Fahne in den Eingang. Beginnt damit, den Leuten in eurer Stadt ein lebendes Beispiel für eine Welt ohne Rassismus, Patriarchat oder Homophobie zu bieten, einen Ort der Gleichheit, der Freiheit, des Respekts für Unterschiede, eine Welt in der es Liebe gibt und in der geteilt wird. Wir brauchen mehr „Autonomia“ im Insurrektionalismus der griechischen anarchistische Bewegung, um sie als Paradigma einer neuen Welle sozialen Lebens aufscheinen zu lassen und diese neue Überlebensstrategie in den Metropolen vorzuführen.

Wie effektiv war die Repression der Polizei darin, die anarchistische Bewegung zum Schweigen zu bringen? Wie haben die Leute Widerstand dagegen geleistet?

Die Träume und Pläne der Insurrektionalist*innen wurden wahr: eine große Welle der Beteiligung „überspülte“ die Anarchist*innen, und viele chaotische Tage lang reisten und kämpften Leute in der Stadt wie nie zuvor, existierten in einer unbekannten Art von Zeit und Raum.

In den gleichen Tagen stießen sie, na klar, auch auf die Grenzen des Aufstands. Die Leute verbringen nun lange Stunden in Diskussionen darüber, wie das allgemeine Verständnis erweitert werden kann, Praktiken, Aktionen und Methoden erfunden werden können, die den Kampf weiter treiben und bereichern können. Viele Leute denken über Wege nach, die all die verschiedenen Elemente dieser Revolte wirklich zusammen bringen können. Die Repression der Polizei spielte keine bedeutendere Rolle für den Abschluss der Riots als die physische Erschöpfung. Wir alle teilen ein Gefühl der Vollendung und ein Gefühl des Beginns, und dies sind Gefühle an welche die Polizei nicht rühren kann.

Was denkt ihr welches Ergebnis die Ereignisse vom Dezember letztlich haben werden?

Der Kampf geht weiter! Ein Kampf für politische, soziale und ökonomische Gleichheit! Kontinuierliche Ausweitung der Freiheit!

In Zukunft werden es sich die neoliberalen Regierungen in Griechenland und überall in Europa sehr gut überlegen, bevor sie versuchen irgendwelche sozialen oder sozialen Veränderungen durchzusetzen. Die Riots in Athen und die Wirtschaftskrise haben dem Zynismus der Behörden, Banken und Konzerne ein Ende bereitet, sie haben eine Generation in Griechenland radikalisiert und unserer Gesellschaft eine Chance gegeben einen Dialog über die massiven sozialen Kämpfe der Zukunft zu eröffnen.

Wie der Slogan es im Dezember 2008 in Athen und Exarchia es sagte:

WIR SIND EIN BILD AUS DER ZUKUNFT.


Fragen beantwortet vom Void Network (Theory, Utopia, Empathy, Ephemeral Arts)

In gekürzter Version in der ‚Reshape‘ erschienen

übersetzt vom RAdical TranslationZ Collective